Confused but on a higher level - Verwirrt aber auf höherem Niveau

Tel Aviv - Pkak = Stau
Herzlija  - unser Hotel HaSharon direkt am Strand


Verwirrt, aber auf viel höherem Niveau. So lässt sich der Zustand vieler Reiseteilnehmer nach neun Tagen Israel beschreiben. Die Situation ist komplexer als vermutet und wir haben zwar viel dazu gelernt und ungeahnte Eindrücke gewonnen, die Reise kann aber nur ein Anfang gewesen sein. Der letzteTag begann mit einem Gespräch mit Herrn Peter Heepen, dem Stellvertreter des Leiters von EUBAM - European Union Border Assistance Mission,
einer Einrichtung der Europäischen Union, die die palästinensische Regierung der Fatah bzw. PLO im Gaza-Streifen bei der Grenzkontrolle unterstützt. Und zwar geht es dabei um den Grenzübergang Rafah nach Ägypten, denn die Grenzübergänge nach Israel sind seit der Eskalation vor einigen Jahren geschlossen. Nahrungsmittel in Form von hunderten von Lastwagen täglich kommen entgegen mancher Presseberichte trotzdem durch. Mit der Hamas als Terrororganisation darf EUBAM nicht zusammenarbeiten und zieht sich deshalb immer zurück, wenn Hamas-Mitglieder die Grenzkontrollpunkte übernehmen, was sie immer wieder tun, weil die Hamas im Gazastreifen geputscht und die Fatah-Regierung abgesetzt hat. Zwischendurch lässt man deren Beamte aber wieder übernehmen und dann kooperiert EUBAM auch wieder. Insgesamt fließen monatlich 22 Millionen Euro an Gehältern aus EU-Kassen in den Gazastreifen. Die Hamas verlangt für Personenausreisen über Rafah (Ägypten) 5000 $ und nimmt so ca. 200.000 $ monatlich ein. Dazu kommen Einnahmen aus dem Tunnelschmuggel.

Oft werden Abläufe in der Presse nicht detailliert genug wiedergegeben, so unser Gesprächsparter. Beispielsweise war Ursache für den heftigen Raketenbeschuss im Frühjahr der Versuch eines israelischen Kommandos, einen Hamas-Führer festzunehmen. Dies widerspreche internationalem Recht und schädige die Autorität der Hamas-Spitze, die deshalb reagieren müsse. Andererseits, so Gisela Dachs bei einem Gespräch am selben Abend, gebe es weder anerkannte Grenzen noch ein geregeltes Auslieferungsverfahren für Rechtsbrecher. Bei der Botschaft erfahren wir amselben Nachmittag, dass Deutschland auf der Sicherheitsebene vertrauensvoll mit Israel kooperiere und mittels eines BND-Verbindungsmannes Informationen über geplante Anschläge in Deutschland erhalte.Zurück zum Raketenbeschuss. Er könne aus dem Zusammenhang vor Ort erklärt aber natürlich trotzdem nicht gerechtfertigt werden. Dem Iron Dome (einem computergestützten Raketenabwehrsystem) der Israelis gelinge es im übrigen die meisten Raketen abzufangen. Es gebe überall Schutzbunker und Unterstände, was wir aus unserem Besuch in Nahal Oz bestätigen können. Es komme immer wieder zu Willkürmaßnahmen auch auf israelischer Seite, die allerdings vom israelischen Justizsystem recht fair geahndet würden. Ein großes Problem sei auch die Korruption auf der arabischen Seite, sodass kaum Gelder bei den normalen Menschen ankommen. Aktionen müssten bei der israelischen Armee angemeldet werden, die auch die Verantwortung für die Sicherheit von EUBAM trage. Herr Heepen, der aus dem baden-württembergischen Polizeidienst kommt, fährt ein gepanzertes Fahrzeug, das 200.000 Euro kostet, was bei den Gesamtkosten des Konflikts nicht sonderlich ins Gewicht fällt.

Unterzeichnung der Oslo-Verträge im Rabin Center
Der nächste Programmpunkt bringt uns ins Rabin-Center, wo auf gewohnt hohem museumspädagogischen Niveau, die Lebensgeschichte von Izhak Rabin, dem ersten in Israel selbst geborenen Ministerpräsidenten zusammen mit der Geschichte Israels und weltpolitischen Ereignissen geschildert wird. "Kein Museum für Anfänger", sagt Gila Shalev, eine israelische Kollegin, die zu uns stößt. Dennoch freut sich der Museumsführer über viele fragen aus dem Teilnehmerkreis. Interessant ist beispielsweise, dass dem UNO-Teilungsbeschluss 1947, die Staatsgründung 1948 und der Angriffskrieg fünf regulärer arabischer Armeen folgt, dem 6000 Personen aus israelischer Seite, darunter 2000 Personen, die gerade dem Holocaust in Europa entkommen waren, zum Opfer fallen. Die Informationen werden gerne aufgenommen. Ausgangspunkt der Führung ist die Ermordung Rabins 1995. Ihr folgt die lange kriegerische Geschichte mit den folgenden Friedensverträgen mit Ägypten, Jordanien und den Oslo-Verträgen sowie die anschließende Polarisierung und schließliche Ermordung Rabins durch einen religiösen jüdischen Fanatiker.




Nun geht es ins alte Zentrum Tel Avivs (siehe oben), das ja eigentlich eine Neugründung außerhalb der Mauern Jaffas zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist. Tel Aviv heißt Altneuland und ist der Titel des von Herzl geschriebenen Romans eines jüdischen Staates. Wir beginnen am alten Bahnhof (Ha Tachana - Die Station) und gehen durch Neve Zedek, um schließlich gegen 15 Uhr zu einem weiteren Gesprächstermin in die deutsche Botschaft in der Frishman Straße zu fahren.




Dort empfängt uns der persönliche Referent der Botschafterin und schildert die Arbeit der Botschaft auf den Gebieten Gedenkstättenarbeit, Sicherheitszusammenarbeit sowie technologische Zukunftskooperation. Die Fragen bewegen sich sehr schnell in Richtung Friedensprozess sowie politische Situation nach den Wahlen. Hier wird klar, dass in der gegenwärtigen politischen Situation das Amnestiebestreben von Ministerpräsidenten Netanjahu eine große Rolle spielt und neben anderem, wie dem fehlenden oder schwierigen Gesprächspartner im Friedensprozess auf palästinensischen Seite, eine Regierung der nationalen Einheit (große Koalition zwischen Blauweiß und Likud) verhindert und radikalen Splittergruppen übergroße Einflussmöglichkeiten einräumt. Deutschland stehe an der Seite Israels, seine Sicherheit gehöre zur Staatsraison, es müsse aber auch Siedlungsbestrebungen entgegentreten. Auf die Frage, warum der von Obama erzwungene Siedlungsstopp der Netanjahu-Regierungen seinerzeit keine Ergebnisse brachte, war die Antwort unklar. Der Iran wird mit seinen Proxies (Stellvertretern) in Syrien und im Libanon sowie im Gaza-Streifen durchaus als Problem und Unruhestifter wahrgenommen. Unnachgiebigkeit könne aber die Eskalation nicht verhindern und darauf komme es an. Der Al-Kuds Tag in Deutschland, insbesondere in Berlin, sei zwar nicht schön, aber im Rahmen der Meinungsfreiheit auch gerichtlich nicht beanstandet worden und könne im Hinblick auf die viel größere Gegendemonstration (800 und 2000 Teilnehmer) als wichtiger Anlass für eine gesellschaftliche Diskussion genommen werden. Gelder, die fließen müssen besser kontrolliert werden und auch antisemitische Hetze in Schulbüchern werde unter die Lupe genommen, sei aber möglicherweise nicht so umfassend und vorherrschend wie von interessierter Seite behauptet. Gisela Dachs sollte am selben Abend mit Hinweis auf das neueste Buch von Constantin Schreiber, der sich genau diesem Thema zugegeben in der gesamten islamischen Welt widmet, widersprechen.

Wir verabschieden uns mit Dank sowie einer Einladung der Botschafterin -möglichst zur Spargelzeit- einmal als Vortragende zum Deutsch-Israelischen Freundeskreis ins Foyer des Landratsamtes nach Karlsruhe zu kommen.


Nun müssen wir uns auch von Tati, wieder einmal "die beste Reiseführerin von allen" verabschieden. Wir tun das schweren Herzens, bedanken uns mit einem dicken Umschlag, wünschen ihr alles Gute und grüßen mit "le shana habaa ve Jeruschalaim" Nächstes Jahr in Jerusalem - auch wenn es vielleicht übernächstes Jahr werden könnte.

Für uns geht es jetzt an den Strand, wo wir uns auf das Abendessen und das Gespräch mit Frau Dr. Gisela Dachs "vorbereiten".

Sie kam etwas verspätet aber emotional berührt von einem Empfang der deutschen Botschafterin, deren Residenz, wie die vieler Botschafter, hier im mondänen  Herzlija-Pituach um die Ecke liegt.Es war ein Empfang zu Ehren von Cornelia Schmalz-Jacobsen, 1988-91 Generalsekretärin der FDP, die aus ihrem Buch "Zwei Bäume in Jerusalem" über den Widerstand ihrer Eltern und die Rettung von Juden in der Nazi-Zeit las. Eine Art "Schindler-Geschichte" Die Nachfahren der Geretteten seien auch dabei gewesen, darunter auch ein Mann im Alter des Sohnes von Schmalz-Jacobsen. Eine anrührende und immer wieder eine wichtige Geschichte. Während heute alle Deutschen und ihre Vorfahren zum Widerstand gehört haben wollen, war das damals offensichtlich nicht so. Es bleibt wichtig und interessant nachzufragen, was Leute zu diesem mutigen Verhalten motiviert hat und wo es heute angebracht wäre. Mir war das Buch, obwohl 2002 erstmals veröffentlicht, unbekannt. Aber die Idee, die Autorin zu einem Vortrag einzuladen, ist geboren.



Das weitere Gespräch bewegt sich in den Themengebieten Wahrnehmung Israels in Deutschland und international, Bedrohungsszenario durch den Iran sowie deutsche Positionierung in internationalen Einrichtungen wie UNO oder Menschenrechtsrat und natürlich auch die innerisraelische Situation zwischen den Wahlen.

Frau Dachs plädiert dafür, neben der oft pflichtgemäße deutscher Gedenkrhethorik auch die Solidarität mit einer zugegeben unvollkommenen Demokratie in manchmal existenziell schwieriger Situation stärker in den Fokus zu rücken. Oft fehlt uns ein realistischer Vergleichsmaßstab. Während wir, auch im Zusammenhang mit den Ereignissen um das Jüdische Museum Berlin (siehe weit oben) schrumpfende demokratische Handlungsspielräume im Westen beklagen, sind die gänzlich fehlenden Handlungsspielräume auf der anderen Seite kein Thema. Sie bezieht sich auf eine Twitter-Äußerung des amerikanischen Botschafters in Deutschland Grenell. Ja, der BDS-Beschluss des Bundestages sei wichtig, weil Teile der BDS-Bewegung eindeutig krass antisemitisch ausgerichtet seien. und ja, eine Diskussion darüber sei legitim und notwendig, werde von der Linken aber oft nicht nachvollziehbar und ausgewogen geführt. Eine Mehrheit in Israel sei nach wie vor friedensbereit, was sich auch daran gezeigt habe, dass Netanjahu ja nicht gewonnen habe und es ihm nicht gelungen sei, eine Mehrheit zu finden. Beispielsweise sei auch eine Immunität des Regierungschefs während seiner Amts keine undemokratische Regelung. Es gebe sie in den USA, Italien und Frankreich. Das von Netanjahu angestrebte Immunitätsgesetz werde deshalb in Israel auch "das französische Gesetz" genannt, aber es gehe nicht so ein Gesetz rückwirkend zu beschließen. Dadurch werde es zu einem speziellen Netanjahu-Gesetz und wäre demokratieschädigend. Dachs geht davon aus, dass Netanjahu im Oktober angeklagt wird (In welchem umliegenden Land, in welchem Land überhaupt wäre so etwas möglich?) und die Mehrheit der Israelis wolle keinen Regierungschef, der in der existentiell schwierigen, spannungsgeladenen Atmosphäre, sich nicht ausschließlich den Problemen des Landes widmen könne. wie die Wahlen am 17. September ausgehen kann sie auch nicht sagen. Dass die Verwendung der internationalen Geldmittel besser kontrolliert werden müsse sei eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Und wer die Palästinenser ausschließlich als Opfer sehe und ihnen keine eigene, oft auch schädliche und kontraproduktive Handlungsfähigkeit im Konflikt zugestehe tue ihnen keinen Gefallen. Es führe nicht weiter, ständig alle Schule bei Israel zu suchen. Insgesamt wurde das Publikum, das bis zum Schluss aufmerksam dabei saß, auch arg strapaziert. Aber, wer "auf einem höheren Niveau verwirrt" sein will, muss auch etwas einbringen."Das Beste kommt zum Schluss" ist nicht nur eine dahergesagte Floskel. Dass das erweiterte Thema mit dem erteilten und zurückgenommenen Einsatzbefehl Trumps in der Nacht zum Freitag zeitgleich mit oder kurz nach unserem Gespräch auf der weltpolitischen Tagesordnung stand wussten wir nicht.

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