West-Jerusalem: Im Westen nichts Neues?


Boker tov - boker or (wörtlich Guten Morgen - Gutes Licht). Die Gruppe vor "unserem" Montefiore Hotel ganz im Zentrum von West-Jerusalem, 5 Minuten von der Ben Yehuda Fußgängerzone und ebenso weit vom Mahane Yehuda, dem jüdischen Markt. Bei einer Studienreise geht's früh los und so machten auch wir uns um 8 Uhr auf den Weg nach Westen auf den Herzl-Berg ins Herzl Museum, das "Zentrum" des Zionismus in seiner musealen Form und auf höchstem museumspädagogischen Niveau, wie jeder Reiseteilnehmer bestätigen wird.
Der negativ konnotierte Begriff "Zionismus" verliert dort einiges von der negativen Konnotierung, wenn er in die Geschichte des Anti-Semitismus, insbesondere die Dreifuß-Affäre im "aufgeklärten" Frankreich eingeordnet wird. Auch im aufgeklärtesten Land der damaligen Zeit wurden Sündenböcke gesucht und das waren die Juden. Und Theodor Herzl wurde als Journalist Zeuge und war so erschüttert, dass er neue, zionistische Weege suchte, die von Anfang an nicht unumstritten waren. Von Hause aus war Herzl Literat und der deutschen Kultur und Sprache auf das Engste verbunden.


Dort, in Frankreich,  nahmen nämlich Herzls Vision vom Judenstaat, eine Schrift die selbstverständlich auf Deutsch erschien und ein utopischer Staat, in dem selbstverständlich Deutsch die Landessprache sein sollte -was sonst- ihren Ausgang. Auch wenn übertriebener Nationalismus der "Jabotinski-Revisionisten" zum ehrlichen Gesamtbild gehört und auch thematisiert wird , so kann man doch die Notwendigkeit eines jüdischen Staates nachvollziehen. Und so nehmen wir museumspädagogisch am ersten Zionistenkongress 1897 in Basel teil.

Anti-Semitismus und Staatsgründung, ein Zusammenhang, der nach der Shoa und nach dem Besuch von Yad Vashem noch deutlicher wird. "Ihnen werde ich ein Denkmal (Yad) und (va) einen ewigen Namen (shem) geben, der besser ist als Söhne und Töchter." (Jesaja) Diese Raison d'Etre des Museums macht Tati überdeutlich und die Gruppe reflektiert beim Mittagessen über die eigene familiäre Geschichte im Zusammenhang mit Drittem Reich und Nationalsozialismus.
Tati erklärt am Model von Yad Vashem

Die Halle der Namen (Yad va Shem)

Der Ausgang, die Lösung: Gründung eines jüdischen Staates in Palästina
Vom Dokumentationszentrum der Vernichtung des jüdischen Volkes (Gibt es das überhaupt? Shlomo Sand bestreitet es.) zum Dokumentationszentrum der Kultur und des Überlebens des jüdischen Volkes, der Nationalbibliothek. Stefan Litt, der seit neun Jahren in der jüdischen Nationalbibliothek u.a. mit den Nachlässen von Franz Kafka, Stefan Zweig, Albert Einstein, Leo Baeck und vielen anderen arbeitet, gibt uns eine Einführung und Führung durch das Haus.
Auf dem Weg zu Stefan Litt in die Jüdische Nationalbibliothek

Die Gruppe in gespannter Erwartung


Das lebende Kunstwerk im Foyer
Es hat sich gelohnt und es stellt sich die Frage wie in solch dramatischen Umständen und Zusammenhängen Kultur, Bücher und Wissenschaft einen so hohen Stellenwert einnehmen können. Ein neues Gebäude ist für 2022 geplant in prime location, gegenüber von Knesset und Israelmuseum. Israel ganz klar nicht nur Start-up sondern auch Kultur-Nation.

Instruktionen für den Jüdischen Markt
Weiter geht es zum Jüdischen Markt, wo mit Abstand von Museum und Bibliothek das Alltagsleben unter die Lupe genommen wird. Wir sind uns nicht unmittelbar bewusst, dass auch schon dieser Markt Ziel von Terroranschlägen war. Wir genießen und kaufen. so ist das Leben.


Abends im Hotel -im Synagogenraum, der zugleich der Schutzbunker ist, inhaltlich fast eine Überforderung, aber wir haben so wenig Zeit ... und es ist freiwillig- erwarten uns zwei besonder Gäste (man kann sie googeln). Es ist Zippy Yarom, deren Großvater Rabiner in Karlsruhe war und die als orthodoxe Jüdin (sie gibt mir zur Begrüßung nicht die Hand, was ich völlig in Ordnung finde) gegen Vorurteile gegen Orthodoxe im Internet kämpft. sie ist Software-Ingenieurin und eine "gestandene Frau" und Schwester Monika Düllmann vom St. Louis Hospiz, die als Katholikin der besonderen Art von ihrem Umgang mit jüdischen, christlichen und muslimischen Sterbenden und deren Familien berichtet. Prompt bestätigt Zippy, ja, ins St.Louis kommen nur die schlimmsten Fälle. Zur Steve Jobs Frage (Stanford 2005) "How to live before you die", legt Tzippy wert darauf das weiße Kleid der Seele rein zu halten und Schwester Monika betont, es sei wichtig Frieden mit den Menschen im Umfeld zu schließen solange man es noch könne.


Wir können die Informationen kaum fassen, geschweige denn verarbeiten und freuen uns auf eine Fortsetzung des Austauschs bei Vorträgen beim Deutsch-Israelischen Freundeskreis in Karlsruhe. Zippy und Monika sagen zu und so können wir nach einem Gläschen Rotwein und vielen Weltverbesserungsgedanken getrost zu Bett gehen. Tomorrow is another day ... und der bringt uns in den Ostteil von Jerusalem, die historische Altstadt mit Via Dolorosa, Tempelberg, Klagemauer, Grabeskirche und und und.

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